Die Sage von Aisten

Die Sage von AistenDas Leben vieler Völker ist längst in Vergessenheit versunken: die von ihnen gebauten Städte sind verwittert, der Wind hat Werke von Menschen, die dort gelebt haben, mit Sand und Kies überschüttet, mit Wasser überflutet, ohne eine Spur zu hinterlassen. Nichts ist übrig geblieben, es bedeutet aber nicht, dass es nichts gab. Kurz ist das menschliche Gedächtnis, ewig jedoch – das göttliche.

Das göttliche Gedächtnis wird in Heiligen Sternenbüchern der Universen gehütet. Da ist alles drin. Die Weltenwerdung ist dort beschrieben. Heilige Gesetze oder die Kosmische Ordnung, der die allgeeinte Sämtlichkeit unterliegt, steht darin verzeichnet. Geschichten, Taten und Werke von Bewohnern irdischer und unirdischer Welten sind darin festgehalten. Nichts wurde ausgelassen. Jeder auf der Erde gedachte Gedanke, jedes ausgesprochene Wort und jede erledigte Arbeit sind darin vermerkt. Die Heilige Bibliothek ist der irdischen Zeit nicht unterworfen. Heilige Bücher verrotten nicht.

Die Weltgeschichte erinnert sich nicht an den Uranfang zurück. Was ist die Geschichte als solche? Wie wird sie geboren? Wie erfährt sie der Mensch? Von wem wird sie ihm erzählt? Von einem Fremden oder demjenigen, der den Geist des Volkes kennt?

Solange Menschen eine Sprache sprachen, herrschte die Ordnung. Symbole wurden ihnen gegeben, dadurch konnten sie sich verständigen auch während Sprachen im Wandel waren. Aus Symbolen haben sich allmählich Buchstaben herausgebildet. Die Entstehung der Schrift hat das Wesen entstellt. Aus diesem Grund haben die Weisen aller Zeiten gemieden, ihre Weisheit aufzuschreiben.

Ist es nicht so, dass alles, was aufgeschrieben und als Geschichte bestätigt worden ist, nur eine Widerspiegelung dessen ist, was in Wirklichkeit geschah? Wie wird ein Land und seine Bräuche von demjenigen dargestellt, der dieses Land nicht kennt oder vielleicht sogar hasst? Wie wird denn derjenige geschildert, der in diesem Land wohnt und es liebt? Wie wird die Geschichte heutzutage geschrieben?

Die Zeit hat die Denkweise von Menschen, den Sinn von Symbolen und Werten geändert, deswegen verirrt sich hoffnungslos der Mensch in Labyrinten der alten Auffassungen. Wertlos sind Streitigkeiten gelehrter Männer über unterschiedliche Auffassungen und Philosophieen von Epochen.

In wichtigen Bibliotheken der Welt werden alte Manuskripte wachsam gehütet. Kann man jedoch allem glauben, was darin geschrieben steht, besonders in überschriebenen Texten und Übersetzungen? Ist das nicht bloß eine Erzählung eines Autors über Menschen oder Ereignisse, die als geschichtlich gelten, gerade in der Art und Weise, wie es der Schreibende selbst verstanden hat oder wie es von ihm verlangt wurde. Kann man es überhaupt Geschichte nennen? Ist das eine Sage oder Tatsachen?

Wieso sind die von Historikern anerkannten Geschichten mehr wahr als die in Sternenbibliotheken aufgeschriebenen?

Es ist die Zeit gekommen, die Geschichte des Volkes, das unter dem Namen Aisten noch erinnerlich ist, zu erzählen.Es lebt noch. Es spricht seine eigene, durch die Zeit jedoch sehr veränderte Sprache. Es sucht nach seinen Wurzeln, ohne fremden Historikern zu vertrauen.

Dies ist die Geschichte vom Großen Wanderzug der Aisten. Sie erzählt davon, wie sich das Volk der Aisten vor 10000 Jahren von der Mündung des alten Nils erhob und sich auf den Weg in ihr versprochenes Land am heutigen Baltischen Meer machte.

Es ist die Geschichte über die Wurzeln gegenwärtiger Litauer und Lettländer, denn Prußen gibt es nicht mehr. Es ist ein Mahnruf, der daran erinnert, dass Menschen, die eine der ältesten lebenden Sprachen der Welt sprechen, auch ihre sehr alte und große Vergangenheit haben. Bestrebungen von ausländischen Historikern, sie unter Schleiern ihrer eigenen Interpretation der Geschichte zu verstecken, sind fruchtlos. Sie können den Geist dieser Vergangenheit nicht vernichten.

Die Weisheit dieses Geistes offenbart sich denen, die an diese Wurzeln glauben. Nur an ihre Volkswurzeln glaubende Kinder dieses ehrenvollen Volkes werden fähig sein, diese Weisheit in der Gegenwart zu nutzen. Wir reden jedoch nicht, um über große Vergangenheit zu trauern. Wir reden, damit sich Schätze des genetischen Volksgedächtnisses denjenigen erschliessen, die ihr Potenzial jetzt zu nutzen wissen.

Diese Weisheit ist besonders nötig denen, die sich Sorgen um die Zukunft des Volkes machen und bereit sind, ihr eigenes Leben für diese Zukunft zu opfern, wie dies unsere Ahnen getan haben.

Dieses Buch ist ein Aufruf an alle, die in ihrer Brust das Aisten-Herz tragen.

Das Volk befindet sich jetzt an der Wende: zur Vernichtung oder zum Wiederaufleben. Aus diesem Grund reden wir.

Mögen es diejenigen hören, die Ohren haben.
Mögen es diejenigen sehen, die Augen haben.
Mögen es diejenigen aufwachen, die Herzen haben.

Ilgevičienė A. Die Sage von Aisten. – Vilnius, „Tiamata“, 2011, 260 S.